Das Verhalten von Immunzellen in direkter Umgebung von Tumoren kann anzeigen, welche Therapien im Kampf gegen Krebs erfolgsversprechend sind. Wie das Zusammenspiel funktioniert, wollen Forschende auch mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) herausfinden.
Spezielle Mikroskopaufnahmen wie hier vom Lymphknoten einer Maus können Aufschlüsse über den Typ und die Position von Immunzellen in der Nähe von Tumorzellen geben.
AG Hölzel
Wir schreiben das Jahr 2040. Im Behandlungszimmer wartet ein Patient nach einer Krebsdiagnose auf einen Therapievorschlag. Seine Ärztin kann ihm einen personalisierten Therapieplan erstellen, der nur wirklich notwendige und für ihn passende Medikamente enthält. Das ist möglich, weil die Bilddaten aus der Tumorbiopsie von einer KI entsprechend ausgewertet wurden und die Medizin inzwischen das komplexe Zusammenspiel von Immunzellen untereinander verstanden hat. Die Chancen auf einen Therapieerfolg sind damit um ein Vielfaches höher als früher. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt InterpretTME arbeiten daran, dass diese Vision eines Tages Wirklichkeit wird.
Forschung auf drei Ebenen
Dabei setzen die Forschenden auf drei Ebenen an: Einmal geht es darum, hochdimensionale Bilddaten des Tumorgewebes und seiner Umgebung auszulesen, die sogenannten Codex-Daten. Auf einer zweiten Ebene trainieren sie mit diesen Daten Künstliche Intelligenz und auf einer dritten Ebene erforschen sie das Verhalten der Immunzellen in direkter Umgebung von Krebszellen. Diese drei Ebenen – Bilddatenanalyse, Künstliche Intelligenz und mechanistisches Verständnis – fließen dann zusammen in die Modellierung ein, also in die computergestützte Vorhersage, welche Therapieform für eine bestimmte Gruppe von Patienten am geeignetsten ist.
Professor Kevin Thurley
Volker Lannert
Die Bilddaten zeigen, welche Immunzellen sich im Umfeld der Tumorzellen bewegen. Mit 20 bis 30 fluoreszierenden Markern können die Forschenden viele verschiedene Typen und Zustände von Immunzellen erkennen. Die farblich kodierten Daten zeigen, welche Immunzellen in der Tumor-Umgebung aktiv sind. Sie zuverlässig auszulesen, ist ein Teil von InterpretTME. Hier sei das Team schon gut vorangekommen, erklärt Projektleiter Professor Kevin Thurley. Er leitet den Forschungsverbund InterpretTME, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme „Computational Life Sciences“, kurz CompLS, unterstützt. Auch was den zweiten Schritt betrifft, bei dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diesen Daten Künstliche Intelligenz trainieren, habe man schon Fortschritte gemacht, sagt Thurley.
Immunzellen spielen eine Schlüsselrolle
Die Verbindung mit KI ist ein innovativer Ansatz des Projekts. Sie hilft, aus den riesigen Datenmengen Muster zu erkennen und effizient Lösungen zu entwickeln. Mit KI wollen die Forscherinnen und Forscher Simulationen schneller durchführen und Modelle für verschiedene Therapieansätze testen, ohne jedes Detail exakt berechnen zu müssen.
Eine zentrale Frage des Projekts ist: Was können wir aus diesen hochauflösenden Daten lernen, um neue Therapieansätze zu entwickeln? Für Thurley ist das mechanistische Verständnis dazu essentiell, also das Wissen darüber, wie die Zellen miteinander kommunizieren und interagieren. Die Wissenschaft weiß heute, dass Immunzellen bei der Bekämpfung von Tumoren eine Schlüsselrolle spielen.
Bei einer Immuntherapie nutzt die Medizin die Immunzellen der Patientin oder des Patienten. Sie können Tumorzellen eigentlich erkennen und bekämpfen. Viele Tumore können die Immunzellen allerdings so behindern, dass sie das nicht mehr tun. Mit einer Immuntherapie können die Abwehrzellen des Körpers schon heute wieder in die Lage versetzt werden, sich zu wehren.
Die „Sprache der Immunzellen“, das heißt wie sie genau beim Kampf gegen Krankheitserreger oder hier Tumorzellen vorgehen und sich gegenseitig beeinflussen, verstehen die Forschenden jedoch noch nicht sehr gut. Dieses komplexe Zusammenspiel auch zwischen Immunzellen und Tumorzellen zu erforschen, ist der Schlüssel zur Entwicklung präziserer und wirksamerer Therapien. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen herausfinden, wie sie die Zellkommunikation so manipulieren können, dass sie beispielsweise bestimmte Botenstoffe blockieren und andere verstärken. Dabei ist das Ziel, nicht mit einer einzigen Therapieform alle Patienten zu behandeln, sondern diese soweit wie möglich individuell anzupassen.
Ein Blick in die Zukunft
Das langfristige Ziel von InterpretTME ist die personalisierte Medizin: Patientinnen und Patienten sollen in Zukunft möglichst maßgeschneiderte Therapien erhalten, die gezielt auf ihr Tumor- und Immunprofil abgestimmt sind. Vermutlich funktioniert das zunächst über den Umweg der Klassifizierung, also der Einordung der Erkrankten in Gruppen mit jeweils ähnlichem Verhalten ihrer Immunzellen.
In den kommenden Jahren wird die Menge an räumlichen Bilddaten weiterwachsen, davon ist Thurley überzeugt. InterpretTME legt mit der Entwicklung neuer KI-Methoden und Modellierungsansätze den Grundstein, um diese Daten effektiv nutzen zu können. Die Projektbeteiligten möchten durch ein besseres Verständnis der Tumor-Immun-Interaktion dazu beitragen, präzisere und effektivere Therapien bereitzustellen, sagt Thurley: „Sei es in der Krebstherapie oder in anderen Bereichen wie Autoimmunerkrankungen, also Erkrankungen, bei denen das eigene Immunsystem fälschlicherweise gesunde Zellen angreift – die Erkenntnisse des Projekts könnten weitreichende Auswirkungen auf die Medizin der Zukunft haben.“